Was haben wir Deutschen uns schon um die Sprache gestritten: Balletttänzer mit drei Mal t hintereinander, autsch, das tat weh! Seit 25 Jahren sollen wir das so schreiben. Nach heftigen öffentlichen Debatten trat am 1. August 1998 die Rechtschreibreform in Kraft. Heute hat sich der Streit um fünf Buchstaben nach hinten verschoben, zu den Balletttänzer*innen: Das Gendern mit Hilfe von Genderstern & Co. bringt viele auf die Palme. Zum Jahrestag des Sprachenstreits hat Louisa Houben fürs ZDF Heute-Portal eine lesenswerte Übersicht zum Zankapfel Gendern zusammengestellt: 200 Anfragen pro Monat erhält der Rat für deutsche Rechtschreibung, oft sind es hasserfüllte E-Mails. Der Philologenverband wünscht sich eine einheitliche Regelung, vor allem für den Schulunterricht. Die Leipziger Linguistin Renata Szczepaniak schlägt eine Kann-Regelung vor: Wer mag, soll einfach gendern (dürfen).
Kanzler Olaf Scholz steht tiefenentspannt zur geschlechtergerechten Sprache. Im Interview-Podcast Hotel Matze auf YouTube appelliert er bei gesellschaftlichen Debatten an die Kompromissbereitschaft. Als Beispiel nennt er „die Art, wie wir sprechen“: Ab Minute 16:55 berichtet der Kanzler, er habe sich angewöhnt, Formulierungen wie „Handwerkerinnen und Handwerker“ zu nutzen. Er fände es auch okay, wenn andere von „Arbeiter*innen“ sprächen. Im Osten Brandenburgs sei ihm mal eine Handwerksmeisterin und Unternehmerin begegnet, die sich als „Maurer“ vorgestellt habe. Das alles könne nebeneinander stehen bleiben, sagt Olaf Scholz und wirbt nachdrücklich für mehr Gelassenheit: „Als Gesellschaft muss man alles dafür tun, dass wir uns in unserer Unterschiedlichkeit freundschaftlich begegnen.“
Widersprüchliches ist aus Sachsen zu vernehmen: Eine der Aufgaben im Deutsch-Abitur war, einen Zeitungsartikel zum Thema Gendern zu analysieren. Im Juli dann aber hatte das sächsische Kultusministerium unter CDU-Führung Initiativen, die für Bildungsangebote mit Schulen kooperieren, das Gendern faktisch verboten. Nun meldeten sich namhafte Linguistikprofessor*innen mit einem Plädoyer gegen das „antidemokratische Verbot abweichender Sprachgebräuche“ zu Wort. Die Gruppe um die Jury für das Unwort des Jahres und den Vorstand des linguistischen Vereins Sprache in der Politik e. V. warnt vor einer „Aushöhlung der Demokratie durch die Übernahme rechter Diskursstrategien“. Sie fordert von der sächsichen Regierungskoalition aus CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen eine Rücknahme des Genderverbotes für Kooperationspartner. Der fein argumentierte offene Brief ist lesenswert: „Der Streit um Wörter und um Sprachkonventionen ist – wie jeder Meinungskampf – ein wichtiges Kennzeichen funktionierender Demokratien.“
Tanzen Sie schön durch den Sommer Christine Olderdissen
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