„Warum denkt man bei Piraten immer an Männer?“ fragte kürzlich die Kindersendung „Wissen macht Ah!“ im WDR-Fernsehen. Ein Fünf-Minuten-Beitrag erklärte: „Was ist eigentlich Gendern?“, das ganze amüsant und kindgerecht. Prompt schlugen in Social Media, wie auch in den Zeitungen an Rhein und Ruhr, die Wellen der Empörung hoch: „ARD wirbt in Kindersendung fürs Gendern“ schrieb die BILD-Zeitung. Allerdings: Von Werbung keine Spur, oder wie sehen Sie das? (ARD-Mediathek Minute 12:45 bis 17:56). Die Redaktion stellt in guter journalistischer Tradition die Fakten dar und kommt ihrem öffentlich-rechtlichen Informationsauftrag nach. Auch Kinder wollen wissen, worüber sich die Erwachsenen so aufregen.
Wer schon beim Wort „gendern“ Bluthochdruck spürt und denkt, der Untergang des Abendlandes stehe bevor, gehört möglicherweise zur Fraktion „Genderpolizei“. Die Kommunikationsberaterin Sigi Lieb hat eine interessante Zusammenschau erstellt, wer wem Sprachvorschriften machen will.
Ein Berliner Vater ging soweit, dass er das Gendern im Schulunterricht gerichtlich verbieten lassen wollte. Mit seinem Eilantrag ist er Ende März gescheitert. Das elterliche Erziehungsrecht sei nicht verletzt und die Schulaufsicht müsse nicht einschreiten, erklärte das Verwaltungsgericht Berlin (Pressemitteilung zum Beschluss vom 24.2.2023, Aktenzeichen VG 3 L24/23). Das dreiköpfige Richtergremium hatte sich durch Gesetze, Verordnungen und Dienstanweisungen in ganz Deutschland gelesen und kam zu dem Schluss: Schulleitungen hätten ihren „Lehrkräften die Verwendung genderneutraler Sprache im Unterricht ausdrücklich freigestellt und gleichzeitig klar darauf hingewiesen, dass die Regeln der deutschen Rechtschreibung im Lehr- und Lernprozess einzuhalten seien“. Zu gut Deutsch: In Klassenarbeiten lieber nicht gendern. Wenn Lehrer*innen aber mit Glottisschlag sprechen, oder in Mitteilungen an die Eltern Gendersternchen verwenden, ist das in Ordnung.
Salomonisch ließ das Gericht wissen: Mit genderneutraler Sprache gehe keine politische Meinungsäußerung einher. Sowohl das Gendern als auch das Nichtgendern lasse eine politische Zuschreibung zu. Schwere und unzumutbare Nachteile konnte das Gericht nicht feststellen, da der Spracherwerb bei den zwei Töchtern des Klägers, die in die zehnte Klasse gehen, bereits abgeschlossen sei. Der Vater, finanziell unterstützt vom Verein Deutsche Sprache, will nun vor das Oberverwaltungsgericht ziehen. (Mehr dazu: Legal Tribune Online, ZDF-Nachrichten, Berliner Kurier) Die taz berichtete bereits Ende Februar von einer Stellungnahme der Schüler*innen der betroffenen Schule in Kreuzberg-Friedrichshain: In einer Vollversammlung hätten sich 89,1 Prozent für das Gendern ausgesprochen. Lehrpersonen würden schlicht den Lehrplan umsetzen, wenn sie über gendersensible Sprache unterrichten. Dieser fordere, über sexuelle und kulturelle Vielfalt aufzuklären. Die Schüler*innen betonten, dass es beim Informieren bleibe: „Wir können selbst entscheiden, welche Form wir präferieren.“
500 000 Schnapsflaschen Berliner-Luft hat der Spirituosenhersteller Schilkin mit neuen Etiketten versehen: „Berliner*innen-Luft“ heißt der beliebte Pfefferminzlikör jetzt. Das ist pure Provokation und noch dazu falsch: Eigenschaftswörter werden für gewöhnlich nicht gegendert. Die Marketing-Idee funktioniert dennoch. Von Spiegel über Tagesspiegel bis BuzzFeed, alle berichten über die irrwitzige Schnapsidee.
Prösterchen! Christine Olderdissen
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